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"Campeonato Mundial de Joquetas 1976"


"Weltmeisterschaft der Rennreiterinnen" - so wurden die Damenrennen angekündigt, die vom 29.April bis 3.Mai 1976 den Grande Premio São Paulo umrahmten. Der dortige Rennverein hatte Berufs- und Amateur-Rennreiterinnen aus 16 verschiedenen Ländern und drei Erdteilen eingeladen, um den brasilianischen Rennsport-Anhängern gut gelaufene Rennen mit weiblichen Jockeys vorzuführen und um neue Leute mit dieser Attraktion auf die Bahn zu ziehen.

Durch die im Vorjahr geknüpften Verbindungen erhielt ich auch diesmal die Gelegenheit, nach Brasilien zu fliegen, um dort nicht nur an den ausgeschriebenen vier Rennen teilzunehmen, sondern auch Freundschaften zu vertiefen und neue, interessante Bekanntschaften zu schließen. Außerdem gab es für mich die Möglichkeit, die Umgebung von São Paulo etwas besser kennenzulernen und zum Abschluss der Reise in Rio de Janeiro, direkt am Strand von Copacabana, genüsslich Station zu machen.


Vier Tage vor dem ersten Rennen traf ich in São Paulo ein, wo die Zeitungen bereits ausführlich über das Ereignis der ersten Weltmeisterschaft berichteteten und die Teilnehmerinnen in meist recht charmanter Weise vorstellten.
Tiziana Sozzi, die in Italien für das Gestüt Dormello Olgiata reitet, und Joanna Morgan, die als erste Frau im diesjährigen irischen Derby in den Sattel gestiegen ist, ärgerten sich zwar darüber, dass man ihnen andichtete, in Brasilien auf Männerfang aus zu sein, und manchmal war es fast ein wenig lästig, immer wieder die gleichen Fragen der Journalisten zu beantworten und von den Fotografen verfolgt zu werden, aber die Reklame war toll. Alle Zeitungen von São Paulo und sogar die wichtigsten von Rio de Janeiro brachten jeden Tag Fotos und Berichte. Dazu kamen Rundfunk- und Fernsehinterviews, die dazu beitrugen, dass die Bahn am Donnerstagabend, als unser erstes Rennen lief, einen für einen Wochentag nicht erwarteten Besuch sah.

Der erste Lauf, zu dem die Pferde, wie auch zu den folgenden Rennen, öffentlich ausgelost worden waren, führte unter Flutlicht über 1600 m Sandbahn. Noch nie hatte ich mich während eines Rennens so miserabel gefühlt. Der Sand war furchtbar. Er schien von allen Seiten mit Wucht auf mich niederzuprasseln. Er verhinderte jegliche Sicht. Die Pferde waren gar nicht mehr oder nur als Schemen zu erkennen. Irgendwann zwischendurch wischte ich einige Male über meine Brille, wodurch die Lage nur noch undurchsichtiger wurde. Als ich die Brille herunterzog, gab es nur für Sekundenbruchteile etwas Erleichterung, während das Ziel einfach nicht näher kommen wollte. Wie ich mit meinem Hengst, der als einer der letzten Außenseiter in dieses Rennen gegangen war, noch Sechster werden konnte, weiß ich nicht. Auf jeden Fall bedeutete es den ersten Punkt in der Championatswertung. Die 21jährige kanadische Berufsreiterin Joan Phipps verbuchte mit ihrem Favoriten-Sieg 9 Punkte, zu denen sich zwei Tage später beim nächsten Rennen nochmals die gleiche Anzahl gesellte. Dabei gewann sie mit dem zweiten Favoriten auf Gras über 1000 m gerader Bahn vor der Chilenin Fresia Garcia, die das internationale Einladungsrennen im vergangenen Jahr hier gewonnen hatte. Ich war als Dritte wiederum bestplacierte Europäerin.

Für den dritten Lauf am Sonntag, einem 2000 m-Rennen auf Gras, hatte ich wieder großes Pech mit der Auslosung, aber selbst der elfte, punktlose Platz mit der vorletzten Außenseiterin „Witch“, die trotz ihres versprechenden Namens über keinerlei Zauberkräfte verfügte, konnte mir die Teilnahme am Endlauf nicht mehr verderben. Aus Mangel an geeigneten Pferden waren für diesen Endlauf (2400 m, Grasbahn, Flutlicht) nur zehn Nennungen und Starterangaben eingegangen, so dass nur die ersten Zehn der Punktwertung bei der Auslosung berücksichtigt werden konnten.
Die Order meines Trainers war kurz: Da ich mit Rennen über eine solch weite Distanz mehr Erfahrung hätte als er, sollte ich selbst sehen.
Fast hätte es geklappt. Zweite. Richterspruch: kurzer Kopf. Geschlagen von der Argentinierin Marina Lezcano, die in ihrer Heimat an 5. Stelle der erfolgreichen Jockeys steht, ein Gewicht von 44 kg reiten kann und kurz vorher in Uruguay mit drei Siegen an einem Tag noch begeistert gefeiert wurde.

Erste Weltmeisterin der Rennreiterinnen wurde Joan Phipps, die seit fünf Jahren eine Berufsrennreiterlizenz besitzt, bisher 250 Siege errungen hat und bereits auf der Rennbahn von Aqueduct, New York, erfolgreich war.
Zweite wurde Marina Lezcano vor Suzana Davis aus Rio Grande do Sul, Brasilien. Auf dem vierten Platz gab es totes Rennen zwischen mir und Patty Barton, Professional aus den Vereinigten Staaten, die mit über 800 Siegen und mit durchschnittlich 40 Rennen in der Woche die erfolgreichste und meistbeschäftigte Reiterin unter uns war. Als Sechste endete Fresia Garcia vor Linda Jones aus Neuseeland, Joanna Morgan, Irland, der Australierin Julie York und der Finnin Mola Rekola, die eine schwedische Lizenz hat. Ohne Punkte blieben Tiziana Sozzi, Vibeke Hansen aus Dänemark, die norwegische Berufstrainerin Ruth Hegard, die erst 18jährige Schwedin Margarete Lindström, Edith de Brétizel aus Frankreich und die Engländerin Joy Gibson.


Für den Jockey Club von São Paulo erwiesen sich die Rennen dieser 1.Weltmeisterschaft der Rennreiterinnen als voller Erfolg. Die sehr hohen Kosten für die Flüge und den Aufenthalt der Teilnehmerinnen machten sich durch die Umsätze, die sich in den vier Läufen auf insgesamt mehr als 800.000 DM beliefen, bezahlt. Außerdem werden sehr wahrscheinlich einige der Besucher, die durch die vielen Berichte der Presse angelockt worden waren, sich zu treuen Anhängern und Wettern entwickeln. Vielleicht wird es auch dadurch einen Aufschwung geben, dass die Brasilianer feststellen konnten, dass auch Mädchen und Frauen mit Vollblütern umgehen und korrekte, spannende Rennen mit packenden Endkämpfen reiten können.

Für die Weltmeisterin gab es einen riesigen Pokal und umgerechnet ungefähr 8.000 DM, für mich einen kleinen Pokal und einen 180 g schweren Rennsattel als Ehrenpreis.

Und außerdem die Erinnerungen an eine großartige, beeindruckende Reise.

Mai 1976

(Anmerkung zum 1.Lauf auf Sand: Es war für mich der allererste Start überhaupt in einem Sandbahnrennen)



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